Tuesday, March 17, 2009

Standhalten, Geduld: Tapferkeit

      Das Eigentliche der Tapferkeit ist nicht Angriff, nicht Selbstvertrauen und nicht Zorn, sondern Standhalten und Geduld. Aber nicht deswegen - man kann das nicht zu häufig wiederholen -, weil Geduld und Standhalten schlechthin besser und vollkommener wären als Angriff und Selbstvertrauen, sondern deswegen, weil die wirkliche Welt so gebaut ist, dass erst im äussersten Ernstfall, der ausser dem Standhalten gar keine andere Möglichkeit des Widerstandes übriglässt, die letzte und tiefste Seelenstärke des Menschen sich zu offenbaren vermag. Das Machtgefüge "dieser Welt" ist von solcher Struktur, dass Standhalten, und nicht zorniger Angriff, die letztentscheidende Probe eigentlicher Tapferkeit ist, deren Wesen ja in nichts anderem besteht als darin: im Angesichte von Verwundung und Tod, nicht beirrt zu irgendeinem Zugeständnis, das Gute zu lieben und zu verwirklichen. Es gehört zu den fundamentalen Gegebenheiten dieser durch die Erbschuld in die Unordnung gestürzten Welt, dass die äusserste Kraft des Guten in der Ohnmacht sich erweist. Und das Wort des Herrn: "Siehe, ich sende euch wie Lämmer mitten unter die Wölfe" (Mt 10,16) bezeichnet die auch heute noch währende Situation des Christen in der Welt.
Josef Pieper in:
"Über die Tugenden, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß",
Kösel (München), 2004
zitiert nach CHRIST IN DER GEGENWART, 39/04